Musealer Charme und eine Bühne für Jazz

Start der Serie "Kneipenmusik": Die Baßgeige am Bäckerklint – Treffpunkt für Fans des Blues, Swing und Bebop

Katja Dombrowski

Musik in Braunschweig: Das sind nicht nur die großen Konzerte in der Volkswagen- oder Stadthalle, im Jolly Joker oder der Meier Music Hall. Auch in Kneipen wird regelmäßig Live-Musik gespielt. Hier machen lokale Bands ihre ersten Gehversuche, hier schätzen auch bekannte Gruppen die intime Atmosphäre. In loser Folge stellen wir Braunschweigs Musikkneipen vor.

Am Anfang steht die Baßgeige. Der kleine Laden am Eulenspiegelbrunnen eröffnete 1977 und ist zweifellos der Klassiker. Wobei hier keine Klassik gespielt wird, sondern Jazz. Zweimal im Monat holt Norbert Bolz, Freunden und Stammgästen besser bekannt als Bolle, nationale, manchmal auch internationale Größen des Blues, Swing, Bebop oder Soul Jazz in sein Lokal.

Wenn 80 Leute kommen, ist die Baßgeige voll. "Es passen auch 100 rein, aber dann ist es unerträglich", sagt Bolle. Die Gäste hier, echte Jazzliebhaber, hören zu: Die Musik dient nicht als Hintergrund, sondern sie steht im Mittelpunkt. Eine gute Akustik sorgt dafür, dass die Instrumente unverstärkt gut rüberkommen. Wer laut redet, erntet schonmal ein unwilliges "Pssst". Geklatscht wird dafür umso mehr: nach jedem Stück, nach jedem Solo, und wenn es besonders gut gefallen hat, wird auch gepfiffen.

Das Gros der Gäste ist um die 40, 50. Ein junger Mann mit Irokesenschnitt und Kapuzenpulli fällt auf, ein älterer Herr mit weißem Haar, schwarzer Hornbrille und roter Trainingsjacke sieht aus, als gehöre er zum Inventar. "Manche sind von Anfang an dabei", erzählt Bolle. Damals seien sie in den 20ern gewesen, Studenten meist, heute über 50. Wie er selbst: 55 Jahre alt ist der Jazz-Fan Bolle heute, der sich als junger Mann mit der Baßgeige einen Traum verwirklichte.

Gewachsen war der in der "Pfeife", einem kleinen Jazzlokal, in dem Bolle während seines Studiums kellnerte. "Das machte mir so viel Spaß, dass das Studium auf der Strecke blieb", erzählt er. Im November 1977 dann die Chance. "Der Laden ist mir durch eine Zeitungsanzeige über den Weg gelaufen – da habe ich zugeschlagen." Mit Wolfgang Goedeke, einem Kollegen aus der "Pfeife", als Partner machte Bolle innerhalb von zehn Tagen aus einer Handwerkerkneipe eine Jazzkneipe. Goedeke, der heutige Wirt der Wegwarte in Lucklum, stieg nach fünf Jahren aus.

Bolle blieb, und die Baßgeige blieb auch – nahezu unverändert. Das Interieur – Tische, Stühle, Bänke und die lange Theke aus Holz, signierte Schwarz-Weiß-Fotos von Jazzgrößen an den Wänden, ein großer alter Ventilator an der Decke – wirkt heute fast museal. Selbst die Lampenschirme sind noch dran: Weinkörbe, mit denen Bolle in letzter Minute vor dem Eröffnungskonzert provisorisch die nackten Glühlampen kaschierte.

Nach Spuren des dritten Jahrtausends muss man in der Baßgeige lange suchen. Männer mit Hosenträgern über karierten Hemden rauchen HB oder Selbstgedrehte. Dinge, die sonst als untrügliche Zeichen der Zeit gelten, verharren hier in den 70er Jahren: Das Telefon zum Beispiel ist ein grünes mit Wählscheibe, getreu dem Kredo des Chefs: "Wird alles gepflegt hier, muss alles so bleiben, wird nichts verändert."

Seit dem Eröffnungskonzert der Red Onion Jazzband haben viele Musiker die kleine Braunschweiger Baßgeige gefüllt, die inzwischen Legenden-Status besitzen. Der Blues-Pianist Sunnyland Slim etwa, der Gitarrist Robert Lockwood Junior oder Earl Warren vom Count Basie Orchestra.

Heute legt Bolle den Schwerpunkt auf die norddeutsche Jazzszene und die Avantgarde-Szene, die hauptsächlich in Berlin spielt. Wichtig ist ihm außerdem, jungen Musikern von der Musikhochschule in Hannover eine Auftrittsmöglichkeit zu geben. Sie sind häufig auch bei den regelmäßigen Jam-Sessions in der Baßgeige anzutreffen.

International bekannt ist Richard Howl aus San Francisco, der im Herbst auf einem Abstecher vom Jazzfest Berlin in der Baßgeige spielt. "Sowas passiert durch Verbindungen", erklärt Bolle. Und davon hat er reichlich.